Demenz in Indien

Die UPD Stiftung hat vor einem Jahr eine dreiwöchige Weiterbildung von Frau Dayle Rodrigues, indische Psychologin, an der Universitätsklinik für Alterspsychiatrie und -psychotherapie finanziert. Diese wurde in Zusammenarbeit mit dem Verein «delta – develop life through action» realisiert.

Demenz in Indien
Demenz in Indien

Im Gespräch sind PD Dr. Monika Müller (MM), Gründerin von delta und Oberärztin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, sowie Dayle Rodrigues (DR), Leitende Psychologin Alterspsychiatrischer Dienst COOJ in Südindien.

MM: Mit dem Film «Astu – so be it», den du während deines Weiterbildungsaufenthaltes bei uns im Rahmen eines Cinema Club gezeigt hast, hast du uns einen ersten Einblick in den Umgang der indischen Gesellschaft mit dem Thema Demenz gegeben. Der Film zeigt einen an Demenz erkrankten Sanskrit Professor, der im familiären Kontext betreut wird und eines Tages in der Stadt verloren geht, in der er zeitlebens gelebt hat. Was sind aus deiner Sicht die grössten Herausforderungen in der Behandlung von Betroffenen in einem Land wie Indien?

DR: Indien ist eines der bevölkerungsreichsten Länder der Erde. Mittlerweile leben acht Millionen Menschen mit Demenz in Indien. Demgegenüber steht ein weitgehend fehlendes Versorgungsnetz für die Betroffenen und ihre Familien. Diesem Problem wollen wir mit dem Aufbau des alterspsychiatrischen Dienstes in Nord-Goa entgegenwirken. Gleichzeitig haben wir bemerkt, dass einzig durch das Schaffen eines Therapieangebotes dessen Nutzung nicht automatisch gegeben ist. Dies hat mit der starken Stigmatisierung von Betroffenen und ihren Angehörigen, aber auch mit fehlender Wahrnehmung von Demenz als Erkrankung zu tun. Die Gesellschaft assoziiert die Symptome von Demenz als normaler Alterungsprozess. Das zeigt bereits der Titel des Filmes, den wir am Cinema Club gezeigt haben beispielhaft auf. Astu ist Sanksrit und bedeutet «so sei es».

MM: Die Unwissenheit in der Bevölkerung und Stigmatisierung von Betroffenen sind also wichtige Faktoren, die deine Arbeit als leitende Psychologin des alterspsychiatrischen Dienstes in Nord-Goa erschweren. Wie genau trittst du dem entgegen?

DR: Wir führen mehrmals jährlich Öffentlichkeitskampagnen durch, bei denen wir die Bevölkerung unter Nutzung von etablierten öffentlichen Medien wie Zeitung, Radio und Fernsehen darüber aufklären, dass Demenz eine Erkrankung ist und dass es Betreuungsmöglichkeiten zur Entlastung der Angehörigen gibt. Eines unserer wichtigsten Formate ist die Seniorenfastnacht. Da Goa im Gegensatz zum Rest von Indien von den Portugiesen kolonialisiert wurde, hat die Fastnacht eine lange Tradition. Ziel dieses Anlasses ist, betagte Menschen am kulturellen Leben teilnehmen zu lassen. Die Seniorenfastnacht öffnet einen Raum der Begegnung für gesunde älteren Menschen, die in ihrem normalen häuslichen Umfeld leben und Bewohnerinnen und Bewohner verschiedener Altersheime in Nord-Goa. Dies senkt Berührungsängste und Barrieren für die Inanspruchnahme unseres therapeutischen Angebotes. Es nehmen jeweils rund 350 Personen daran teil.

MM: Vor einem Jahr hast du eine dreiwöchige, strukturierte Weiterbildung in der Universitätsklinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie der UPD absolviert. Wie unterscheidet sich deine Arbeit in Indien vom Therapieangebot in der Schweiz?

DR: Infolge limitierter Ressourcen hinsichtlich Fachpersonal, aber auch auf finanzieller Ebene sind wir auf unsere Freiwilligen angewiesen. Wir müssen einzelne Bausteine unserer Behandlung gezielt an diese Laienpersonen delegieren, um den Personalmangel kompensieren zu können. Ich habe in der Schweiz beobachtet, dass ein umfassendes Behandlungsnetz vorhanden ist, um sowohl dem Schweregrad der Erkrankungen, wie auch dem vorhandenen sozialen Netz und nicht zuletzt auch dem Wunsch der Patientinnen und Patienten Rechnung zu tragen. Zusätzlich überlegen sich die Betroffenen und ihre Angehörigen nicht, ob sie ein Therapieangebot aus finanzieller Hinsicht in Anspruch nehmen können, da diese durch die Krankenversicherung bezahlt werden. In Indien ist dies anders. Finanzielle Überlegungen bei limitierten finanziellen Mitteln bestimmen massgeblich mit, ob ein Therapieangebot genutzt wird.

MM: Welche Aspekte deiner Weiterbildung konntest du im vergangenen Jahr trotz dieser Unterschiede in den Versorgungssystemen zwischen beiden Ländern bei deiner Arbeit in Indien anwenden?

DR: Da wir zum Zeitpunkt des Weiterbildungsaufenthaltes in der Planungsphase für unser aufsuchendes Therapieprogramm waren, hat mich natürlich der Baustein Mobile Alterspsychiatrie besonders interessiert. Zusammen mit einer spezialisierten Pflegefachperson habe ich Betroffene in ihrem häuslichen Umfeld oder im Altersheim besucht und begleitet. Dieser Einblick hat mir enorm in der Implementierung unseres Angebotes geholfen. Bisher erreichten wir bereits 35 ältere Mitmenschen mit psychischen Erkrankungen inklusive Demenz in ihrem häuslichen Umfeld. In einem nächsten Schritt werden wir die Pilotphase dieses Angebotes abschliessen um es in angepasster Form längerfristig weiterzuführen.

delta
delta